An der ehemaligen Dominikanerkirche – der heutigen Kunsthalle – am Rande der Osnabrücker Altstadt befindet sich die Skulptur „Der Gefesselte“, ein Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewalt und Erinnerung sowohl an das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 als auch den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953. Entworfen wurde sie vom Bildhauer Gerhard Marcks.
Die Errichtung des Mahnmals entsprang einem in der Nachkriegszeit gewachsenen Bedürfnis nach einem öffentlichen Gedenkort für diejenigen, die in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern gelitten hatten, einerseits und für diejenigen, die Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten – konkret in Form des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 –, andererseits. Etwa zeitgleich – ab dem 17. Juni 1953 – forderten Protestierende in der Deutschen Demokratischen Republik in einem landesweiten Volksaufstand mehr demokratische Rechte und ein geeintes Deutschland. Anstatt separate Gedenkorte für die einzelnen Ereignisse zu schaffen, sollte ein gemeinsames Denkmal „den Opfern für Wahrheit und Freiheit“ gewidmet werden.[1]Papenbrock, Martin. „Der Gefesselte. Mahnmal für Osnabrück (1964).“ In Symbole des Friedens und des Krieges im öffentlichen Raum. Osnabrück, die „Stadt des Westfälischen Friedens“, … Continue reading
Die Entscheidung bei der Wahl des Künstlers im Frühjahr 1962 fiel auf den deutschen Bildhauer Gerhard Marcks.[2]Papenbrock, Der Gefesselte, 233. In den Jahren 1919 bis 1925 am Weimarer Bauhaus als Meister und danach in führender Position an der Burg Giebichstein bei Halle tätig, sah sich Marcks während der NS-Zeit Repressionen ausgesetzt: Er wurde mit einem Berufsverbot belegt und seine Arbeiten aus dem öffentlichen Raum verbannt.[3]Hartog, Arie. „Der Weg ins Bauhaus und wieder hinaus. Gerhard Marcks und sein Kreis.“ In Wege aus dem Bauhaus. Gerhard Marcks und sein Freundeskreis, edited by Anke Blümm, 16-47. Weimar: Klassik … Continue reading In der Nachkriegszeit erhielten insbesondere seine Gestaltungen von Gedenkorten, sowie sakrale Arbeiten, besondere Beachtung.[4]Papenbrock, Der Gefesselte, 234. Sein künstlerischer Bezugspunkt blieb, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, der Mensch.[5]Deseye, Yvette. „‘Vorbei am Christentum kommt man nicht‘. Bezugspunkte zur christlicen Tradition bei Johannes Driesch, Gerhard Marcks, Wolfgang Tümpel und Theodor Bogler.“ In Wege aus dem … Continue reading
Das Mahnmal „Der Gefesselte“ besteht aus Basaltlava und stellt in einer Höhe von 3,40m einen an einem Pfahl gefesselten Mann mit gesenktem Haupt dar. Die Höhe und Form verleihen der Skulptur etwas Monumentales, die Figur blickt auf die Betrachtenden herab. Ihre lethargische Haltung drückt Wehrlosigkeit und Trauer aus. Die Formensprache dient der Abstraktion, um die verschiedenen Ereignisse, an die das Mahnmal erinnern soll, umfassen zu können. Gleichzeitig entspricht sie dem unpolitischen, religiösen Verständnis des Künstlers.[6]Papenbrock, Der Gefesselte, 243-244. Das Mahnmal wurde am 20. Juli 1964 enthüllt. Seitdem dient sie als Gedenkort für den 20. Juli 1944 – zu dessen Anlass die Stadt Osnabrück jährlich einen Kranz am Denkmal niederlegt – und den 17. Juni 1953, sowie für das Kriegsende am 8. Mai 1945 und die Opfer der Konzentrationslager.[7]Papenbrock, Der Gefesselte, 237. Trotz der vom Künstler Marcks intendierten politischen Neutralität ist „Der Gefesselte“ das Ziel von Vandalismus geworden: Im Juli 2018 beschmierten Unbekannte Sockel und Inschrift der Skulptur mit brauner Acrylfarbe.[8]„Braune Farbe verschmiert Denkmal für Opfer des Nationalsozialismus“. Hasepost, July 12, 2018. Accessed November 21, 2023. … Continue reading
Outside the former Dominican Church, now the Art Hall, on the outskirts of the Old Town of Osnabrück, stands the sculpture “The Shackled One” (“Der Gefesselte”), a memorial to the victims of war and violence, commemorating both the failed assassination attempt on Adolf Hitler on July 20, 1944, and the popular uprising in the German Democratic Republic (GDR) on June 17, 1953. It was designed by the sculptor Gerhard Marcks.
The establishment of the memorial arose from the postwar need for a public memorial site dedicated to those who suffered in Nazi concentration camps, on the one hand, and those who resisted the Nazi regime – specifically through the failed assassination attempt on Adolf Hitler on July 20, 1944 – on the other. Around the same time that this need was recognized, starting on June 17, 1953, protesters in the German Democratic Republic demanded more democratic rights and a united Germany in a nationwide popular uprising. Instead of creating separate memorial sites for each event, the city decided that a common monument should be dedicated to “the victims for truth and freedom.”[9]Papenbrock, Martin. „Der Gefesselte. Mahnmal für Osnabrück (1964).“ In Symbole des Friedens und des Krieges im öffentlichen Raum. Osnabrück, die „Stadt des Westfälischen Friedens“, … Continue reading
The task of creating this monument fell, in the spring of 1962, to the German sculptor Gerhard Marcks.[10]Papenbrock, Der Gefesselte, 233. From 1919 to 1925, he had worked as a master at the Weimar Bauhaus, and he later held a leading position at the Burg Giebichstein Art School near Halle. During the Nazi era, Marcks faced repression: He was banned from practicing his profession, and his works were removed from public spaces.[11]Hartog, Arie. „Der Weg ins Bauhaus und wieder hinaus. Gerhard Marcks und sein Kreis.“ In Wege aus dem Bauhaus. Gerhard Marcks und sein Freundeskreis, edited by Anke Blümm, 16-47. Weimar: Klassik … Continue reading In the postwar period, his designs for memorial sites and sacred works, in particular, received special attention.[12]Papenbrock, Der Gefesselte, 234. Even after World War II, his artistic focus remained on humanity.[13]Deseye, Yvette. „‘Vorbei am Christentum kommt man nicht‘. Bezugspunkte zur christlicen Tradition bei Johannes Driesch, Gerhard Marcks, Wolfgang Tümpel und Theodor Bogler.“ In Wege aus dem … Continue reading
The memorial “The Shackled One” is made of basalt and depicts a man bound to a stake with his head lowered; it is 3.4 meters tall. The height and form give the sculpture a monumental quality, and the figure looks down on the viewers. The man’s lethargic posture conveys helplessness and sorrow. The nonspecific nature of the figure serves the purpose of encompassing the various events the memorial is meant to recall. Simultaneously, it aligns with the artist’s apolitical, religious perspective.[14]Papenbrock, Der Gefesselte, 243-244. The memorial was unveiled on July 20, 1964. Since then, it has served to commemorate July 20, 1944 – on which occasion the city of Osnabrück annually lays a wreath at the monument – and June 17, 1953, as well as the end of the war on May 8, 1945, and the victims of concentration camps.[15]Papenbrock, Der Gefesselte, 237. Despite the artist’s intended political neutrality, “The Shackled” has become the target of vandalism: In July 2018, unknown individuals smeared the base and inscription of the sculpture with brown acrylic paint.[16]„Braune Farbe verschmiert Denkmal für Opfer des Nationalsozialismus“. Hasepost, July 12, 2018. Accessed November 21, 2023. … Continue reading
Das Attentat auf das Leben Adolf Hitlers, welches durch den Offizier Claus Graf von Stauffenberg ausgeführt wurde und welches sein Ziel nicht erreichte, war ein detailliert geplanter Versuch eines Staatsstreiches, welcher im Angesicht der militärischen Lage von einem größeren Kreis beteiligter Personen ausgearbeitet wurde.
Es stellte nicht den ersten Versuch dar, das Leben des Diktators gewaltsam zu beenden. Vielmehr reiht sich das Vorhaben des am 20. Juli 1944 umgesetzten Attentates ein in viele vergebliche Anschläge. Der Kreis der Verschworenen, welche an dem geplanten Staatsstreich beteiligt oder zumindest in das Vorhaben eingehweiht waren, setzte sich zu großem Teilen aus Offizieren der Wehrmacht und einem bürgerlich politischen Widerstand zusammen.[17]van Roon, Ger. Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick. München: C. H. Beck, 1998. Der Plan sah vor, den Diktator in dessen Führerhauptquartier, der „Wolfsschanze“, in Ostpreußen mithilfe einer Briefbombe zu töten, um über den Befehl „Walküre“ die Kontrolle über den Staat zu übernehmen. Jedoch überlebte Hitler die Detonation leicht verletzt.[18]van Room, Widerstand im dritten Reich, 189-191. Stauffenberg wurde noch am Abend desselben Tages in Berlin erschossen.[19]Steinbach, Peter. Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Wagnis – Tat – Erinnerung. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2015, 101-102.
Die Konsequenz des gescheiterten Attentates äußerte sich in unbarmherzigen Racheaktionen gegen den Kreis der Widerständler. Neben Verhaftungswellen durch die Gestapo wurden die Beteiligten dem Volksgerichtshof unter Roland Freisler zugeführt, welcher die Angeklagten zum Tode verurteilte.[20]Ueberschär, Gerd R.. Für ein anderes Deutschland. Der deutsche Widerstand gegen den NS-Staat 1933-1945. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 2006, 212-213. Weiterhin erfolgte unter dem Vorwand des versuchten Attentats mit der „Aktion Gewitter“ eine weitere Verhaftungswelle gegen ehemalige Mitglieder und Mandatsträgerinnen und Mandatsträger der Sozialdemokraten und der Zentrums-Partei sowie Kommunistinnen und Kommunisten und Geistliche.[21]Steinbach, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, 103. Diese fand reichsweit statt und führte auch in Osnabrück zur Verhaftung von 52 Personen durch die örtliche Gestapo, welche in das nahe Arbeitserziehungslager Ohrbeck gebracht wurden.[22]Issmer, Volker. „Osnabrücker Widerstand – eine Spurensuche.“ In Topographie des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück, edited by Thorsten Heese, 373-385, Bramsche: Rasch Verlag, 2015, 377.
The attempt on Adolf Hitler’s life carried out by Wehrmacht Officer Claus Schenk Graf von Stauffenberg, which did not succeed in its goal, was a meticulously planned effort, sparked by the military situation, to enact a coup involving a larger circle of individuals.
It was not the first attempt to violently end the dictator’s life. Rather, the plan executed on July 20, 1944, was one of many unsuccessful assassination bids. The conspirators involved in the planned coup, or at least informed of the plan, largely consisted of officers from the Wehrmacht and members of the civilian political resistance.[23]van Roon, Ger. Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick. München: C. H. Beck, 1998. Their intention was to kill the dictator by means of a letter bomb in his Führer Headquarters in East Prussia, the “Wolf’s Lair” (“Wolfsschanze”), and take control of the state through the “Valkyrie” (“Walküre”) order. However, Hitler survived the explosion with minor injuries.[24]van Room, Widerstand im dritten Reich, 189-191. Stauffenberg was shot in Berlin that evening.[25]Steinbach, Peter. Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Wagnis – Tat – Erinnerung. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2015, 101-102.
The failed assassination attempt resulted in merciless reprisals against the resistance circle. In addition to waves of arrests by the Gestapo, those involved were brought before the People’s Court under Roland Freisler, which sentenced the accused to death.[26]Ueberschär, Gerd R.. Für ein anderes Deutschland. Der deutsche Widerstand gegen den NS-Staat 1933-1945. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 2006, 212-213. Furthermore, under the pretext of responding to the attempted assassination, another wave of arrests, known as Operation Thunderstorm (Aktion Gewitter), targeted former members and representatives of the Social Democrats and the Center Party, as well as communists and clergy.[27]Steinbach, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, 103. This nationwide action led to the arrests by the local Gestapo in Osnabrück of 52 people, who were taken to the nearby Ohrbeck labor education camp.[28]Issmer, Volker. „Osnabrücker Widerstand – eine Spurensuche.“ In Topographie des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück, edited by Thorsten Heese, 373-385, Bramsche: Rasch Verlag, 2015, 377.
Informationen
Informationen zum Stauffenberg-Attentat:
Artikel der Hasepost und Neuen Osnabrücker Zeitung zur Beschädigung des Mahnmals:
↑1, ↑9 | Papenbrock, Martin. „Der Gefesselte. Mahnmal für Osnabrück (1964).“ In Symbole des Friedens und des Krieges im öffentlichen Raum. Osnabrück, die „Stadt des Westfälischen Friedens“, edited by Jutta Held, 231-246. Weimar: VDG, 1998, 232-233. |
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↑2, ↑10 | Papenbrock, Der Gefesselte, 233. |
↑3, ↑11 | Hartog, Arie. „Der Weg ins Bauhaus und wieder hinaus. Gerhard Marcks und sein Kreis.“ In Wege aus dem Bauhaus. Gerhard Marcks und sein Freundeskreis, edited by Anke Blümm, 16-47. Weimar: Klassik Stiftung Weimar, 2017, 20-26; Papenbrock, Der Gefesselte, 233. |
↑4, ↑12 | Papenbrock, Der Gefesselte, 234. |
↑5, ↑13 | Deseye, Yvette. „‘Vorbei am Christentum kommt man nicht‘. Bezugspunkte zur christlicen Tradition bei Johannes Driesch, Gerhard Marcks, Wolfgang Tümpel und Theodor Bogler.“ In Wege aus dem Bauhaus. Gerhard Marcks und sein Freundeskreis, edited by Anke Blümm, 82-123. Weimar: Klassik Stiftung Weimar, 2017, 89. |
↑6, ↑14 | Papenbrock, Der Gefesselte, 243-244. |
↑7, ↑15 | Papenbrock, Der Gefesselte, 237. |
↑8, ↑16 | „Braune Farbe verschmiert Denkmal für Opfer des Nationalsozialismus“. Hasepost, July 12, 2018. Accessed November 21, 2023. https://www.hasepost.de/braune-farbe-verschmiert-denkmal-fuer-opfer-des-nationalsozialismus-marcks-88914/; Sanders, Jörg. „Unbekannte beschädigen Skulptur in Osnabrück mit brauner Farbe.“ Neue Osnabrücker Zeitung, July 12, 2018. Accessed November 21, 2023. https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/der-gefesselte-erinnert-an-ns-opfer-unbekannte-beschaedigen-skulptur-in-osnabrueck-mit-brauner-farbe-23036848. |
↑17, ↑23 | van Roon, Ger. Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick. München: C. H. Beck, 1998. |
↑18, ↑24 | van Room, Widerstand im dritten Reich, 189-191. |
↑19, ↑25 | Steinbach, Peter. Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Wagnis – Tat – Erinnerung. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2015, 101-102. |
↑20, ↑26 | Ueberschär, Gerd R.. Für ein anderes Deutschland. Der deutsche Widerstand gegen den NS-Staat 1933-1945. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 2006, 212-213. |
↑21, ↑27 | Steinbach, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, 103. |
↑22, ↑28 | Issmer, Volker. „Osnabrücker Widerstand – eine Spurensuche.“ In Topographie des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück, edited by Thorsten Heese, 373-385, Bramsche: Rasch Verlag, 2015, 377. |