Der Bildhauer Fritz Theilmann schuf 1955 eine bedeutende Statue an der St. Norbert Kirche in Friedland, genannt „Griff in die Freiheit“. Das eindrucksvolle Kunstwerk zeigt einen abgemagerten Mann im langen Wehrmachtsmantel, der über einen Stacheldrahtzaun steigt und hoffnungsvoll seine Hand nach vorne streckt. Er symbolisiert einen Heimkehrer, der aus der Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion entlassen wurde und nun in seine deutsche Heimat zurückkehren kann. Theilmann selbst wurde 1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen und arbeitete danach als freischaffender Bildhauer.[1]Schießl, Sascha. „Das Tor zur Freiheit“: Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945-1970), Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen … Continue reading
Der „Verband der Heimkehrer“ (VdH) hatte 1955 ursprünglich die Anfertigung einer Holzstatue in mehreren Teilen beauftragt, die er in den 1950er Jahren mit einem LKW quer durch die Bundesrepublik zu den großen Deutschlandtreffen transportieren ließ. 1967 wurde eine Nachbildung des Denkmals aus Beton dauerhaft hinter der St. Norbert Kirche aufgestellt. Die Bildsprache der Statue spiegelt ein in der Nachkriegszeit verbreitetes deutsche Opfernarrativ: Die Hintergründe und zahllosen Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen wurden im Westdeutschland der 50er Jahre verdrängt oder kaum thematisiert, während sich das Gedenken ausschließlich auf deutsche Opfer konzentrierte. Die Statue „Griff in die Freiheit“ ist somit ein eindrucksvolles Zeugnis der deutschen Geschichte und erinnert an die Schicksale der Heimkehrer nach dem Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig wirft sie Fragen über Perspektiven und Fokus der Erinnerungskultur in der frühen Bundesrepublik auf.[2]Museum Friedland. „Große Geste: Der ‚Griff in die Freiheit‘.“ URL: https://friedland-in-sight.de/griff-in-die-freiheit/. Zuletzt abgerufen am: 04.08.2023.
Der vorliegende 3D-Scan beruht auf der Statuette „Griff nach der Freiheit“, da die Originalstatue wegen ihrer Größe nicht erfasst werden konnte. Diese etwa 16 cm hohe Miniatur ist eine Nachbildung der sechs Meter hohen Skulptur „Griff in die Freiheit“ und wurde vom Verband der Heimkehrer (VdH) unter dem Titel „Griff nach der Freiheit“ in hoher Stückzahl vertrieben.[3]Museum Friedland. „Statuette – ‚Griff nach der Freiheit‘.“ URL: https://www.museum-friedland.de/sammlung/objekte/. Zuletzt abgerufen am: 04.08.2023.
Autor:in: Julian Feuls.
In 1955, the sculptor Fritz Theilmann created an important statue at St. Norbert’s Church in Friedland, called „Griff in die Freiheit“ (Grasp for Freedom). The impressive work of art shows an emaciated man in a long Wehrmacht coat climbing over a barbed wire fence and hopefully stretching his hand forward. He symbolizes a returnee who has been released from captivity as a prisoner of war in the Soviet Union and can now return to his German homeland. Theilmann himself was released from Soviet captivity in 1949 and subsequently worked as a freelance sculptor.[4]Schießl, Sascha. „Das Tor zur Freiheit“: Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945-1970), Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen … Continue reading
In 1955, the Association of Returnees (Verband der Heimkehrer, VdH) originally commissioned the production of a wooden statue in several parts, which it transported on a truck to the large “German meetings” (Deutschlandtreffen) across the Federal Republic in the 1950s. In 1967, a concrete replica of the statue was permanently erected behind St. Norbert’s Church. The imagery of the statue reflects a German victim narrative that was widespread in the post-war period: the background and countless victims of National Socialist crimes were suppressed or barely addressed in West Germany in the 1950s, while commemoration focused exclusively on German victims. The „Griff in die Freiheit“ statue is therefore an impressive testimony to German history and a reminder of the fate of those who returned home after the Second World War. At the same time, it raises questions about the perspectives and focus of the culture of remembrance in the early Federal Republic.[5]Museum Friedland. „Große Geste: Der ‚Griff in die Freiheit‘.“ URL: https://friedland-in-sight.de/griff-in-die-freiheit/. Zuletzt abgerufen am: 04.08.2023.
This 3D scan is based on the „Griff nach der Freiheit“ statuette, as the original statue could not be captured due to its size. This approximately 16 cm high miniature is a replica of the six-metre high sculpture „Griff in die Freiheit“ and was sold in large numbers by the Association of Returnees (VdH) under the title „Griff nach der Freiheit“.[6]Museum Friedland. „Statuette – ‚Griff nach der Freiheit‘.“ URL: https://www.museum-friedland.de/sammlung/objekte/. Zuletzt abgerufen am: 04.08.2023.
Author: Julian Feuls.
Translation: Irene Schultens.
Von den insgesamt elf Millionen Wehrmachtsangehörigen, die während des Zweiten Weltkriegs in Kriegsgefangenschaft gerieten, befanden sich etwa acht Millionen in westlicher und etwa drei Millionen in sowjetischer Gefangenschaft. Zehn Millionen deutsche Kriegsgefangene kehrten zurück, wobei die meisten der etwa eine Million Verstorbenen aufgrund schlechter Arbeits- und Versorgungsbedingungen in der Sowjetunion ums Leben kamen. Gemäß einer Vereinbarung der vier Siegermächte wurden die Kriegsgefangenen der westlichen Nationen bis Ende 1948 freigelassen. Die als „Spätheimkehrer“ bezeichneten Personen kehrten erst zwischen 1953 und Anfang 1956 aus sowjetischer Gefangenschaft zurück.[7]Prill, Marius. „Die ‚Heimkehr der Zehntausend‘ und das Grenzdurchgangslager Friedland. Der öffentliche Diskurs um die Rückkehr von Kriegsgefangenen in den 1950er Jahren“. … Continue reading
Die letzten rund zehntausend Kriegsgefangenen wurden ab 1955 nach dem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauers in Moskau und der Vereinbarung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion freigelassen.[8]Schießl, Sascha. ‚Drehscheibe menschlicher Schicksale‘ – Das Lager Friedland in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit.“ In: Löneke, Regina und Ira Spieker (Hrsg.). Hort … Continue reading
Im Oktober 1955 erreichten die ersten Rückkehrer Friedland, wo sie von einer begeisterten Menschenmenge sowie prominenten politischen und gesellschaftlichen Akteuren begrüßt wurden.[9]Wensch, Johanna. „Von ‚Opfern‘ und ‚Kriegsverbrechern‘. Die Berichterstattung bundesdeutscher Zeitungen über die Ankunft der letzten Kriegsgefangenen aus der … Continue reading
Weil sich die westdeutsche Nachkriegsgesellschaftsich selbst vor allem als Opfer der Folgen des Zweiten Weltkriegs sah, war die „Heimkehr der Zehntausend“ in hohem Maße symbolisch aufgeladen. Die Spätheimkehrer wurden dabei als Opfer des Unrechts der sowjetischen Gefangenschaft unter unmenschlichen Bedingungen dargestellt, während eine kritische Auseinandersetzung mit dem auf Angriff, Unterwerfung und Vernichtung ausgerichteten Krieg und der rassistischen Ideologie des nationalsozialistischen Deutschen Reiches ausblieb oder vernachlässigt wurde.[10]Prill, Marius. „Die ‚Heimkehr der Zehntausend‘ und das Grenzdurchgangslager Friedland. Der öffentliche Diskurs um die Rückkehr von Kriegsgefangenen in den 1950er Jahren“. … Continue reading
Autor:in: Julian Feuls.
Of the eleven million members of the Wehrmacht who were taken prisoner of war during the Second World War, around eight million were in Western captivity and around three million in Soviet captivity. Ten million German prisoners of war returned, although most of the approximately one million who died, did so due to poor working and supply conditions in the Soviet Union. In accordance with an agreement between the four victorious powers, the prisoners of war from the Western nations were released by the end of 1948. The people referred to as „late returnees“ (Spätheimkehrer) only returned from Soviet captivity between 1953 and early 1956.[11]Prill, Marius. „Die ‚Heimkehr der Zehntausend‘ und das Grenzdurchgangslager Friedland. Der öffentliche Diskurs um die Rückkehr von Kriegsgefangenen in den 1950er Jahren“. … Continue reading
The last ten thousand or so prisoners of war were released from 1955 onwards following German Chancellor Konrad Adenauer’s visit to Moscow and the agreement to establish diplomatic relations between the Federal Republic and the Soviet Union.[12]Schießl, Sascha. ‚Drehscheibe menschlicher Schicksale‘ – Das Lager Friedland in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit.“ In: Löneke, Regina und Ira Spieker (Hrsg.). Hort … Continue reading In October 1955, the first returnees reached Friedland, where they were greeted by an enthusiastic crowd and prominent political and social figures.[13]Wensch, Johanna. „Von ‚Opfern‘ und ‚Kriegsverbrechern‘. Die Berichterstattung bundesdeutscher Zeitungen über die Ankunft der letzten Kriegsgefangenen aus der … Continue reading
Because West German post-war society saw itself primarily as a victim of the consequences of the Second World War, the „homecoming of the ten thousand“ was highly symbolically charged. The late returnees were portrayed as victims of the injustice of Soviet captivity under inhumane conditions, while a critical examination of the war aimed at attack, subjugation and extermination and the racist ideology of the National Socialist German Reich was either omitted or neglected.[14]Prill, Marius. „Die ‚Heimkehr der Zehntausend‘ und das Grenzdurchgangslager Friedland. Der öffentliche Diskurs um die Rückkehr von Kriegsgefangenen in den 1950er Jahren“. … Continue reading
Author: Julian Feuls.
Translation: Irene Schultens.
Informationen
↑1, ↑4 | Schießl, Sascha. „Das Tor zur Freiheit“: Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945-1970), Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen, Band 31, Göttingen: Wallstein Verlag, 2016. S. 292. |
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↑2, ↑5 | Museum Friedland. „Große Geste: Der ‚Griff in die Freiheit‘.“ URL: https://friedland-in-sight.de/griff-in-die-freiheit/. Zuletzt abgerufen am: 04.08.2023. |
↑3, ↑6 | Museum Friedland. „Statuette – ‚Griff nach der Freiheit‘.“ URL: https://www.museum-friedland.de/sammlung/objekte/. Zuletzt abgerufen am: 04.08.2023. |
↑7, ↑11 | Prill, Marius. „Die ‚Heimkehr der Zehntausend‘ und das Grenzdurchgangslager Friedland. Der öffentliche Diskurs um die Rückkehr von Kriegsgefangenen in den 1950er Jahren“. In: Löneke, Regina und Ira Spieker (Hrsg.). Hort der Freiheit. Ethnografische Annäherungen an das Grenzdurchgangslager Friedland. Göttingen: Regina Löneke, 2014. S. 26 f. |
↑8, ↑12 | Schießl, Sascha. ‚Drehscheibe menschlicher Schicksale‘ – Das Lager Friedland in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit.“ In: Löneke, Regina und Ira Spieker (Hrsg.). Hort der Freiheit. Ethnografische Annäherungen an das Grenzdurchgangslager Friedland. Göttingen: Regina Löneke, 2014. S. 21. |
↑9, ↑13 | Wensch, Johanna. „Von ‚Opfern‘ und ‚Kriegsverbrechern‘. Die Berichterstattung bundesdeutscher Zeitungen über die Ankunft der letzten Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion in Friedland, 1955/56.“ In: Baur, Joachim und Lorraine Bluche (Hrsg.). Fluchtpunkt Friedland. Über das Grenzdurchgangslager 1945 bis heute. Göttingen: Wallstein Verlag, 2017. S. 143. |
↑10, ↑14 | Prill, Marius. „Die ‚Heimkehr der Zehntausend‘ und das Grenzdurchgangslager Friedland. Der öffentliche Diskurs um die Rückkehr von Kriegsgefangenen in den 1950er Jahren“. In: Löneke, Regina und Ira Spieker (Hrsg.). Hort der Freiheit. Ethnografische Annäherungen an das Grenzdurchgangslager Friedland. Göttingen: Regina Löneke, 2014. S. 27 f. |