Denkmal für die Opfer des alliierten Bombenangriffs
Das sogenannte „Mahnmal für russische Zwangsarbeiter:innen“ auf dem Göttinger Stadtfriedhof gedenkt 39 osteuropäischen Zwangarbeiter:innen, die in Folge eines Bombenangriffs der Alliierten auf den Göttinger Güterbahnhof am 01. Januar 1945 starben. Der Gedenkstein steht in der Nähe des 2023 enthüllten Denkmals für die Zwangsarbeiter:innen in Göttingen.
Die Inschrift auf der Vorderseite in russischer Sprache lautet: „Gemeinschaftsgrab der russischen Arbeiter, zum Opfer gefallen dem faschistischen Terror 1.1.1945“, gefolgt von den Namen der 39 Toten. Darüber sind Hammer und Sichel in einem Stern abgebildet, umrahmt von einem Ährenkranz. Auf der Rückseite des Steins befindet sich eine nachträglich hinzugefügte Übersetzung der Inschrift, jedoch nicht der Namen, in deutscher Sprache.[1]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Die Toten des Bombenangriffs auf die Zwangsarbeiterlager am 1. Januar 1945.“ URL: … Continue reading
Die Informationen zum Mahnmal weisen viele Lücken auf. Zunächst ist nicht bekannt, wer den Gedenkstein aufgestellt hat. Vermutlich wurde er nach Ende des Zweiten Weltkrieges von ehemaligen Zwangsarbeiter:innen und Überlebenden des Bombenangriffs entworfen. Damit wäre er der älteste Gedenkort für Zwangsarbeiter:innen in Göttingen. Darüber hinaus ist sein ursprünglicher Standort unbekannt: Erst 1972 wurde er bei der Umbettung der Gräber der Zwangsarbeiter:innen auf den Ehrenfriedhof verlegt.[2]„Mahnmal für russische Zwangsarbeiter:innen.“ URL: https://denkmale.goettingen.de/denkmale/mahnmal-fuer-russische-zwangs-arbeiter-innen/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.
Über die Intentionen der Urheber:innen kann nur spekuliert werden: Diente er lediglich als Erinnerungsort oder hatte er weitere Funktionen? Mit der Inschrift wird explizit „russischen“ Toten gedacht. Jedoch fielen auch Menschen aus der Ukraine und Polen dem Bombenangriff zum Opfer. Die Betonung der „russischen“ Toten steht in einem Spannungsverhältnis zur sowjetischen Symbolik des Gedenksteins.
Schließlich lässt sich vom äußeren Erscheinungsbild des Mahnmals darauf schließen, dass die Pflege vernachlässigt wurde. Es scheint, als nehme das Mahnmal in Göttingen keine besondere Stellung im Gedenken an Zwangsarbeitende ein.
Autor:innen: Fenja Pophanken, Vanessa Bokelmann und Jannik Meier
Memorial for the victims of Allied bombing
The so-called „Memorial to Russian Forced Laborers“ at Göttingen’s city cemetery commemorates 39 Eastern European forced laborers who died because of an Allied bombing raid on the Göttingen freight depot, January 1, 1945. The memorial is located near the memorial to the forced laborers in Göttingen, which was unveiled in 2023.
The inscription on the front reads in Russian: „Common grave of Russian workers, victims of fascist terror 1.1.1945“, followed by the names of the 39 dead. Above this, a hammer and sickle are depicted in a star, framed by a wreath of ears of corn. On the back of the stone a German translation of the inscription was subsequently added, but without the names.[3]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Die Toten des Bombenangriffs auf die Zwangsarbeiterlager am 1. Januar 1945.“ URL: … Continue reading
There are many gaps in the information on the memorial. First, it is not known who erected the memorial stone. Likely, it was designed after the end of the Second World War by former forced laborers and survivors of the bombing. This would make it the oldest memorial for forced laborers in Göttingen. Furthermore, its original location is unknown: It was only moved to the cemetery of honor in 1972 when the graves of the forced laborers were reburied.[4]„Mahnmal für russische Zwangsarbeiter:innen.“ URL: https://denkmale.goettingen.de/denkmale/mahnmal-fuer-russische-zwangs-arbeiter-innen/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.
We can only speculate about the intentions of its creators: Did it merely serve as a place of remembrance, or did it have other functions? The inscription explicitly commemorates the „Russian“ dead. However, people from Ukraine and Poland also fell victim to the bombing. The emphasis on the „Russian“ dead is in conflict with the Soviet symbolism of the memorial stone.
Finally, the external appearance of the memorial suggests that it has been neglected. It seems as if the memorial does not occupy a special position in the commemoration of forced laborers in Göttingen.
Authors: Fenja Pophanken, Vanessa Bokelmann, Jannik Meier.
Translation: Irene Schultens.
Hintergrund – Bombenangriffe auf Göttingen
Am 1. Januar 1945 wurde Göttingen von den Alliierten bombardiert.
Obwohl der Angriff dem Güterbahnhof galt, wurden auch Häuser in den umliegenden Straßen sowie der vordere Teil des Friedhofs getroffen. Die meisten Verletzten und Toten gab es im Zwangsarbeiterlager auf dem Schützenplatz sowie dem Reichsbahnlager Auf der Masch. Dort wurden insgesamt 39 Zwangsarbeiter:innen, darunter auch neun Kinder, getötet.[5]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Der Bombenangriff auf das Lager Schützenplatz und das Lager Auf der Masch am 1. Januar 1945 mit 39 Toten (darunter 9 Kinder).“ URL: … Continue reading
Das Lager Schützenplatz bestand seit Oktober 1942 und war ein sogenanntes „Ostarbeiterlager“. Es wurde von den Göttinger Rüstungsbetrieben benutzt und betrieben und war jeweils in ein Frauen- und Männerlager unterteilt.[6]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Lager Schützenplatz: ‚Ostarbeiterlager‘.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/schuetzenplatz.htm/. Zuletzt abgerufen am: … Continue reading Das Reichsbahnlager Auf der Masch lag in unmittelbarer Nähe zum Lager Schützenplatz. Dort wurden „Ostarbeiter:innen“, Westukrainer:innen, und Pol:innen untergebracht.[7]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Lager ‚Auf der Masch‘ und Lager ‚Grüngürtel‘.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/masch.htm/. Zuletzt abgerufen am: … Continue reading
Unmittelbar nach dem Angriff mussten überlebende Zwangsarbeiter:innen die Leichen und Trümmer beseitigen.Die Opfer wurden auf dem Göttinger Friedhof bestattet. Als höchst traumatisches Erlebnis stellte der Bombenangriff für die überlebenden Zwangsarbeiter:innen einen zentralen Erinnerungspunkt dar. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es ein Angriff der Alliierten gewesen war. Von ihnen erhofften sich die Zwangsarbeiter:innen nicht nur ein Ende ihres Leidens, sondern auch das Ende des Krieges. Dass nun aber die vermeintlichen „Retter“ für die hohe Zahl an Toten unter ihnen verantwortlich waren, hinterließ bei den Überlebenden tiefe Spuren, die auch Jahrzehnte nach dem Krieg spürbar waren. Iwan Semjonowitsch Oserjanskij, ein Zeitzeuge des Angriffs, beschrieb ihn als eine „erbarmungslose Vernichtung unseres und eures Volkes von der anglo-amerikanischen Luftwaffe“.[8]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Der Bombenangriff auf das Lager Schützenplatz und das Lager Auf der Masch am 1. Januar 1945 mit 39 Toten (darunter 9 Kinder).“ URL: … Continue reading
Autor:innen: Fenja Pophanken, Vanessa Bokelmann und Jannik Meier
Bomb attacks on Göttingen
On January 1st, 1945, Göttingen was bombed by the Allies. Although the attack was aimed at the freight depot, houses in the surrounding streets and the front part of the cemetery were also hit. Most of the injured and dead were in the forced labor camp on Schützenplatz and the Reichsbahnlager Auf der Masch. There, a total of 39 forced laborers, including nine children, were killed.[9]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Der Bombenangriff auf das Lager Schützenplatz und das Lager Auf der Masch am 1. Januar 1945 mit 39 Toten (darunter 9 Kinder).“ URL: … Continue reading
The Schützenplatz camp had existed since October 1942 and was a so-called Ostarbeiter camp. It was used and operated by the Göttingen armaments factories and was divided into a men’s and women’s camp.[10]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Lager Schützenplatz: ‚Ostarbeiterlager‘.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/schuetzenplatz.htm/. Zuletzt abgerufen am: … Continue reading The Reichsbahn camp Auf der Masch was located in the immediate vicinity of the Schützenplatz camp. So-called Ostarbeiter, Western Ukrainians and Poles were housed there.[11]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Lager ‚Auf der Masch‘ und Lager ‚Grüngürtel‘.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/masch.htm/. Zuletzt abgerufen am: … Continue reading
Immediately after the attack, surviving forced laborers had to remove the bodies and debris. The victims were buried in Göttingen’s cemetery. As a highly traumatic experience, the bombing was a central point of remembrance for the surviving forced laborers. This is not least due to the fact that it was an Allied attack. From them, the forced laborers not only hoped for an end to their suffering, but also for the end of the war. However, the fact that their supposed „saviors“ were now responsible for a high number of deaths among them left deep traces on the survivors that were still felt decades after the war. Ivan Semyonovich Oseryansky, a contemporary witness to the attack, described it as a „merciless annihilation of our and your people by the Anglo-American air force“.[12]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Der Bombenangriff auf das Lager Schützenplatz und das Lager Auf der Masch am 1. Januar 1945 mit 39 Toten (darunter 9 Kinder).“ URL: … Continue reading
Authors: Fenja Pophanken, Vanessa Bokelmann, Jannik Meier.
Translation: Irene Schultens.
Informationen
Für weiterführende Informationen: Stadtarchiv Göttingen Cordula Tollmien Projekt NS-Zwangsarbeiter:
https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/
↑1, ↑3 | Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Die Toten des Bombenangriffs auf die Zwangsarbeiterlager am 1. Januar 1945.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/bombenangrifftote.htm#gedenkstein/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023. |
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↑2, ↑4 | „Mahnmal für russische Zwangsarbeiter:innen.“ URL: https://denkmale.goettingen.de/denkmale/mahnmal-fuer-russische-zwangs-arbeiter-innen/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023. |
↑5, ↑8, ↑9, ↑12 | Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Der Bombenangriff auf das Lager Schützenplatz und das Lager Auf der Masch am 1. Januar 1945 mit 39 Toten (darunter 9 Kinder).“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/frames/fr_geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023. |
↑6, ↑10 | Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Lager Schützenplatz: ‚Ostarbeiterlager‘.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/schuetzenplatz.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023. |
↑7, ↑11 | Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: Lager ‚Auf der Masch‘ und Lager ‚Grüngürtel‘.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/masch.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023. |