Das Denkmal
Seit dem 4. Juni 2023 erinnert ein Mahnmal im Osnabrücker Ortsteil Berningshöhe an das „Lager Fernblick“. Seine Entstehung geht auf eine Bürger:inneninitiative zurück.
Bis vor kurzem erinnerte in der Reihenhaussiedlung am Wilhelm-Mentrup-Weg in Osnabrück nichts daran, dass sich hier von 1942 bis 1945 das Gemeinschaftslager Süd III – das „Lager Fernblick“ – befunden hatte, in dem zeitweise mehr als 1.000 Zwangsarbeiter:innen vor allem aus der Sowjetunion und Polen inhaftiert gewesen waren.[1]Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023. … Continue reading
Seit dem 4. Juni 2023 erinnert ein Mahnmal an die Vergangenheit des Ortes: Eine schlichte Eisenplatte, an der zwei übergroße Karteikarten aus Edelstahl mit den Daten zwei der jüngsten Lagerinsassen befestigt sind. Die am 2. Februar 1944 geborenen Zwillinge Bolek und Jann Chocha, Söhne einer polnischen Zwangsarbeiterin, waren zwei von 312 Kindern, die zwischen 1943 und 1945 im zum „Lager Fernblick“ gehörenden „Entbindungsheim für schwanger gewordene Ausländerinnen“ auf die Welt kamen und von denen wenige älter als ein paar Tage wurden. Bolek starb nach zwei und Jann nach vier Tagen, laut ihrer Karteikarten an „Lebensschwäche“.[2]Lahmann-Lammert, Rainer. „Babys lebten nur wenige Tage: So groß war das Leid im Osnabrücker Lager Fernblick“. Neue Osnabrücker Zeitung, June 6, 2023, accessed on August 10, 2023. … Continue reading
Die Entstehung des Mahnmals geht auf die Bemühungen einer Bürger:inneninitiative zurück. 2018 gab ein Gottesdienst aus der Reihe „Church on the Road“ der Osnabrücker Lutherkirche Anlass, sich mit der Vergangenheit des Ortsteils auseinanderzusetzen. Bestürzt darüber, dass sie auf einem ehemaligen Lagergelände lebten und dass nichts an das Leid der Lagerinsass:innen erinnerte, begaben sich Anwohner:innen auf Spurensuche: Sie wollen mehr über das „Lager Fernblick“ erfahren und einen Gedenkort schaffen.[3]Lahmann-Lammert, „Babys lebten nur wenige Tage“. Neue Osnabrücker Zeitung, June 6, 2023, accessed on August 10, 2023. … Continue reading Ihre Recherchen in Zusammenarbeit mit den Gedenkstätten Augustaschacht und Gestapokeller stützten sich auf Vorarbeiten des Osnabrücker Lokalhistorikers Volker Issmer,[4]Volker, Issmer. „‘Entbindungsheim für schwanger gewordene Ausländerinnen‘ im Osnabrücker Lager „Fernblick“ – ein Zwischenbericht.“ In Topografien des Terrors. Nationalsozialismus in … Continue reading auf die Gefangenenkartei des Lagers und auf Zeitzeugeninterviews.[5]Lahmann-Lammert, „Babys lebten nur wenige Tage“.
The memorial
Since June 4, 2023, a memorial in the Osnabrück district of Berningshöhe has stood in commemoration of “Camp Fernblick.” Its creation was the result of a citizen initiative.
Until recently, there was nothing about the group of row houses on Wilhelm-Mentrup-Weg in Osnabrück to indicate that from 1942 to 1945, “Community Camp South III” – “Camp Fernblick” – was located there, where at times more than 1,000 forced laborers, primarily from the Soviet Union and Poland, were incarcerated.[6]Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023. … Continue reading Since June 4, 2023, however, a memorial has recalled the history of the place: a simple iron plate to which two oversized stainless steel index cards are attached, bearing the details of two of the youngest camp inmates. Born on February 2, 1944, Bolek and Jann Chocha, twin sons of a Polish forced laborer, were two of 312 children born between 1943 and 1945 in the Maternity Home for Pregnant Foreign Women belonging to Camp Fernblick, few of whom lived longer than a few days. Bolek died after two days, and Jann after four, due, according to their index cards, to “weakness of life.”[7]Lahmann-Lammert, Rainer. „Babys lebten nur wenige Tage: So groß war das Leid im Osnabrücker Lager Fernblick“. Neue Osnabrücker Zeitung, June 6, 2023, accessed on August 10, 2023. … Continue reading
The creation of the memorial was the result of the efforts of a local citizens’ initiative. In 2018, a service from the “Church on the Road” series at the Osnabrück Lutheran Church prompted residents to confront the history of the neighborhood. Disturbed to learn that they were living on the former grounds of the camp with no visible reminders of the suffering of its inmates, the residents embarked on a quest to learn more about Camp Fernblick and create a fitting memorial.[8]Lahmann-Lammert, „Babys lebten nur wenige Tage“. Neue Osnabrücker Zeitung, June 6, 2023, accessed on August 10, 2023. … Continue reading Their research, in collaboration with the Augustaschacht and Gestapokeller memorials, relied on the preliminary work of Osnabrück local historian Volker Issmer,[9]Volker, Issmer. „‘Entbindungsheim für schwanger gewordene Ausländerinnen‘ im Osnabrücker Lager „Fernblick“ – ein Zwischenbericht.“ In Topografien des Terrors. Nationalsozialismus in … Continue reading the prisoner registry of the camp, and eyewitness interviews.[10]Lahmann-Lammert, „Babys lebten nur wenige Tage“.
"Lager Fernblick": Zwangsarbeit in Osnabrück
Mit Fortdauern des Zweiten Weltkrieges stieg in Osnabrück – wie auch im Rest des Deutschen Reiches – der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Infolgedessen wurden immer mehr Zwangsarbeiter:innen aus den besetzten Gebieten ins Reich verschleppt.[11]Gander, Michael. „Lagerwesen und Zwangsarbeit in Osnabrück: Die Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges.“ In Topographie des Terrors. … Continue reading
Wie viele Menschen genau im gesamten Verlauf des Krieges in Osnabrück Zwangsarbeit leisten mussten, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Fest steht: Anfang des Jahres 1945 waren es etwa 10.000.[12]Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading Die Zwangsarbeiter:innen waren in über 100 Lagern im ganzen Stadtgebiet untergebracht.[13]Gander, „Lagerwesen“, 332. Mit der wachsenden Anzahl an Zwangsarbeiter:innen stellte sich die Frage, wo diese Menschen untergebracht werden konnten. Für die Deutsche Arbeitsfront, die Stadt Osnabrück, die Industrie- und Handelskammer sowie von der Zwangsarbeit profitierende Betriebe waren Barackenlager wie das „Gemeinschaftslager Süd III“, auch „Lager Fernblick“ genannt, die Antwort.[14]Gander, „Lagerwesen“, 328; „Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading
Im 1942 auf einem Gelände der Evangelischen Stiftung Osnabrück errichteten[15]Issmer, Volker. „‘Entbindungsheim für Schwanger gewordene Ausländerinnen‘ im Lager ‚Fernblick‘ – ein Zwischenbericht.“ In Topographie des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück, … Continue reading „Lager Fernblick“ lebten zwischenzeitlich bis zu 1.000 vor allem aus Polen und der Sowjetunion verschleppte Kriegsgefangene wie zivile ausländische Arbeitskräfte. Sie wurden in kriegswichtigen Unternehmen, Privathaushalten, in der Landwirtschaft, bei der Bombenräumung und auch beim Bau von Luftschutzbunkern eingesetzt.[16]„Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading Außerdem wurden schwangere Zwangsarbeiterinnen aus Osnabrück und der näheren Umgebung ins „Lager Fernblick“ und das zum Lagerkomplex gehörende „Entbindungsheim für schwanger gewordene Ausländerinnen“ – das einzige nachgewiesene dieser Art – verlegt.[17]„Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde aus dem „Gemeinschaftslager Süd III“ das „Camp Fernblick 267“. Die britische Militärregierung nutzte den Ort zur Unterbringung von sogenannten „Displaced Persons“: Menschen, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Herkunftslandes befanden und ohne Hilfe nicht dorthin zurückkehren konnten oder gar nicht erst dorthin zurückkehren wollten. Bis zu seiner endgültigen Auflösung im Jahr 1962 beherbergte das ehemalige „Lager Fernblick“ außerdem Heimatvertriebene und Geflüchtete sowie Sinti.[18]„Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading
“Camp Fernblick”: Forced Labor in Osnabrück
As the Second World War continued, the demand for foreign labor increased in Osnabrück, as it did throughout the German Reich. Consequently, increasing numbers of forced laborers from occupied territories were brought to the Reich.[19]Gander, Michael. „Lagerwesen und Zwangsarbeit in Osnabrück: Die Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges.“ In Topographie des Terrors. … Continue reading
The exact number of people made to perform forced labor in Osnabrück during the war is difficult to reconstruct. What is certain is that by early 1945, approximately 10,000 were present.[20]Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading These forced laborers were accommodated in over 100 camps throughout the city, but with their numbers growing, the question arose of where the additional people could be housed.[21]Gander, „Lagerwesen“, 332. For the German Labor Front, the city of Osnabrück, the Chamber of Commerce and Industry, and businesses benefiting from forced labor, barrack camps like Community Camp South III, also known as “Camp Fernblick,” provided the answer.[22]Gander, „Lagerwesen“, 328; „Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading
In Camp Fernblick, established in 1942 on the grounds of the Evangelische Stiftung Osnabrück,[23]Issmer, Volker. „‘Entbindungsheim für Schwanger gewordene Ausländerinnen‘ im Lager ‚Fernblick‘ – ein Zwischenbericht.“ In Topographie des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück, … Continue reading up to 1,000 prisoners of war, primarily from Poland and the Soviet Union, along with foreign civilian laborers who had been abducted. They were employed in war-critical industries, private households, agriculture, bomb disposal, and the construction of air raid shelters.[24]„Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading Additionally, pregnant forced laborers from Osnabrück and the surrounding area were relocated to Camp Fernblick and the associated Maternity Home for Pregnant Foreign Women – the only one of its kind that has been documented.[25]„Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading
After the end of the Second World War, Community Camp South III became “Camp Fernblick 267.” The British military administration used the site to accommodate so-called Displaced Persons, individuals who, due to the war, found themselves outside their home countries and could not return without assistance or did not want to return. Until its final dissolution in 1962, the former Camp Fernblick housed Displaced Persons, refugees, and Sinti.[26]„Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, … Continue reading
Informationen
Informationen zum Lager Fernblick in Osnabrück: https://gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de/partner/lager-fernblick
↑1, ↑6 | Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023. https://gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de/partner/lager-fernblick. |
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↑2, ↑7 | Lahmann-Lammert, Rainer. „Babys lebten nur wenige Tage: So groß war das Leid im Osnabrücker Lager Fernblick“. Neue Osnabrücker Zeitung, June 6, 2023, accessed on August 10, 2023. https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/osnabruecker-initiative-erinnert-an-das-leid-im-lager-fernblick-44843103. |
↑3, ↑8 | Lahmann-Lammert, „Babys lebten nur wenige Tage“. Neue Osnabrücker Zeitung, June 6, 2023, accessed on August 10, 2023. https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/osnabruecker-initiative-erinnert-an-das-leid-im-lager-fernblick-44843103. |
↑4, ↑9 | Volker, Issmer. „‘Entbindungsheim für schwanger gewordene Ausländerinnen‘ im Osnabrücker Lager „Fernblick“ – ein Zwischenbericht.“ In Topografien des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück, edited by Thorsten Heese, 353-355. |
↑5, ↑10 | Lahmann-Lammert, „Babys lebten nur wenige Tage“. |
↑11, ↑19 | Gander, Michael. „Lagerwesen und Zwangsarbeit in Osnabrück: Die Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges.“ In Topographie des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück, edited by Thorsten Heese, 325-352. Bramsche: Rasch Verlag, 2015, 328. |
↑12, ↑20 | Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, https://gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de/partner/lager-fernblick. |
↑13, ↑21 | Gander, „Lagerwesen“, 332. |
↑14, ↑22 | Gander, „Lagerwesen“, 328; „Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, https://gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de/partner/lager-fernblick. |
↑15, ↑23 | Issmer, Volker. „‘Entbindungsheim für Schwanger gewordene Ausländerinnen‘ im Lager ‚Fernblick‘ – ein Zwischenbericht.“ In Topographie des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück, edited by Thorsten Heese, 353-355. Bramsche: Rasch Verlag, 2015, 353. |
↑16, ↑24 | „Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, https://gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de/partner/lager-fernblick; Issmer, „‘Entbindungsheim‘“, 354. |
↑17, ↑18, ↑25, ↑26 | „Das Gemeinschaftslager Süd III“ Gedenkstätte Augustaschacht und Gedenkstätte Gestapokeller e.V. accessed on August 10, 2023, https://gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de/partner/lager-fernblick. |