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Leerstelle Die Großwäscherei “Schneeweiß”

Empty space Industrial laundry service “Schneeweiß” • Tukšā telpa rūpnieciskajā veļas mazgātavā "Schneeweiß" • Пустая прастора –Прамысловая-пральня Шнээвайс ("Schneeweiß")

Die Wohnsiedlung im Schiefer Weg am Leineufer gibt heutzutage keinen Hinweis darauf, dass hier einmal die 1882 gegründete Großwäscherei Schneeweiß (umbenannt in Steritex KG Schneeweiß) stand. Die Wäscherei versorgte nicht nur die Universitätskliniken, sondern erledigte auch Aufträge für das Heeresbekleidungsamt in Hannover. Das Unternehmen wurde somit als kriegswichtig eingestuft.[1]Tollmien, Cordula. „NS-Zwangsarbeit: Wäscherei Schneeweiß.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/frames/fr_betriebe.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Um die Aufträge bewerkstelligen zu können, beschäftigte der Betrieb zwischen 1941 und 1945 bis zu 50 Zwangsarbeiter:innen. Diese stammten vor allem aus dem östlichen Europa. Das Unternehmen etablierte zum Zweck der Unterbringung eine eigene Lagerinfrastruktur. Besonderes Merkmal dieser war die 1944 errichtete Säuglingsbaracke, in der bis April 1945 mindestens 28 Säuglinge und drei Kleinkinder mit ihren Müttern untergebracht wurden.[2]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Nachdem die Frauen im Lager Schützenplatz oder in der Krankenbaracke am Ludendorffring entbunden hatten, wurden sie mit ihren Kindern in das Säuglingslager verlegt. Während die Mütter in der Wäscherei körperlich anstrengende und gesundheitsschädigende Arbeit verrichten mussten, wurden die Säuglinge nur mangelhaft betreut. Die Mangelernährung und -versorgung führte dazu, dass fast die Hälfte der Säuglinge frühzeitig verstarb. So betrug in Göttingen die durchschnittliche Säuglingssterblichkeit bei Kindern von Zwangsarbeiterinnen 18 Prozent. Säuglinge von Frauen, die keine Zwangsarbeit leisten mussten, starben in 7,7 Prozent der Fälle.[3]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Es sind keine Fotografien der Kinder und nur wenige Aussagen von Zeitzeuginnen überliefert. Bis heute gibt es keine Bestrebungen, den Ort in die lokale Erinnerungskultur einzupflegen. Die verstorbenen Kinder und die Mütter stellen nicht nur in Göttingen, sondern auch im gesamtdeutschen Gebiet eine oftmals vergessene Opfergruppe dar.[4]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Autor:innen: Fenja Pophanken, Vanessa Bokelmann und Jannik Meier.

Today, the residential area on Schiefer Weg on the banks of the Leine river offers no indication that the Schneeweiß industrial laundry service (renamed Steritex KG Schneeweiß), founded in 1882, once stood here. The laundry service not only supplied the university hospitals with sterile linen, but also carried out orders for the Army Clothing Office in Hanover. The company was therefore classified as essential to the war effort.[5]Tollmien, Cordula. „NS-Zwangsarbeit: Wäscherei Schneeweiß.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/frames/fr_betriebe.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

To complete their orders, the company employed up to 50 forced laborers between 1941 and 1945. Most of them came from Eastern Europe. The company set up its own warehouse infrastructure to accommodate them. A special feature of this was the infant barracks built in 1944, in which at least 28 infants and three small children were housed with their mothers until April 1945.[6]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

After the women had given birth in the Schützenplatz camp or in the infirmary barracks on Ludendorffring, they, together with their newborns, were transferred to the infant camp. While the mothers had to carry out physically strenuous and unhealthy work in the laundry, the infants were poorly cared for. The malnutrition and lack of care meant that almost half of the infants died prematurely. In Göttingen, for example, the average infant mortality rate for children born to female forced laborers was 18%. The death rate babies born to women who did not have to perform forced labor was 7.7%.[7]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

No photographs of these children and only a few testimonies from contemporary witnesses have survived. To this day, no efforts have been made to incorporate this site into the local memorial culture. The deceased children and their mothers represent an often-forgotten group of victims, not only in Göttingen but also in Germany as a whole.[8]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Authors: Fenja Pophanken, Vanessa Bokelmann, Jannik Meier.

Translation: Irene Schultens.

 

Im Zeitraum zwischen 1939 und 1945 sind in Göttingen 314 Geburten von Zwangsarbeiterinnen dokumentiert. Über 90 Prozent davon fanden zwischen 1943 und dem 8. April 1945 statt. Der Großteil der gebärenden Frauen stammte aus Polen und der Sowjetunion.[9]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Der plötzliche Anstieg von Geburten im Jahr 1943 lässt sich mit der Intensivierung der Deportationspraxis aus dem östlichen Europa erklären. Die strikteren Maßnahmen führten zu mehr Deportationen junger Frauen. Andererseits spielte auch der Richtungswechsel bei der nationalsozialistischen Geburtenpolitik eine Rolle: Bis Ende 1942 durften schwangere Zwangsarbeiterinnen von ihrem „Arbeitseinsatz“ entlassen werden und in ihre Heimat zurückkehren, um dort ihre Kinder zur Welt zu bringen. Ab Dezember 1942 war dies verboten.[10]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie galt das Leben der Kinder von sowjetischen und polnischen Zwangsarbeiterinnen als „minderwertig“. Dies wirkte sich auf die Versorgung der Kinder aus: Obwohl Zwangsarbeiterinnen formal sechs Wochen Mutterschutz nach der Entbindung zur Verfügung standen, wurden sie oftmals bereits nach wenigen Tagen zur Wiederaufnahme der Arbeit gezwungen. So konnten notwendige Stillzeiten nicht eingehalten. Auch waren die Frauen häufig so unterernährt, dass sie ihren Kindern nicht genügend Muttermilch geben konnten.[11]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Darüber hinaus wurden ab 1943 geheime Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen unter anderem an polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiterinnen durchgeführt.[12]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeit: Abtreibungen.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/abtreibungen.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

Die Verantwortlichen priorisierten den Arbeitseinsatz der Zwangsarbeiterinnen für die Kriegswirtschaft gegenüber dem „nicht-deutschen Lebens“ ihrer Säuglinge.

So wurden ihre schlechte Versorgung und der daraus folgende Tod willentlich in Kauf genommen.

Autor:innen: Fenja Pophanken, Vanessa Bokelmann und Jannik Meier.

In the period between 1939 and 1945, 314 births in Göttingen are documented for female forced laborers. Over 90 percent of these took place between 1943 and April 8, 1945. Most of the women who gave birth came from Poland and the Soviet Union.[13]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

The sudden increase in births in 1943 can be explained by the deportation practices from Eastern Europe being intensified then and the severe  measures that lead to more young women being deported. At the same time, a change of direction in National Socialist childbirth policy played a role: until the end of 1942, pregnant forced laborers were allowed to be released from their „work assignment“ and to return home to give birth to their children. From December 1942, this was forbidden.[14]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

According to National Socialist racial ideology, the lives of the children of Soviet and Polish forced laborers were considered „inferior“. This influenced the care of the children: although forced laborers were formally entitled to six weeks of maternity leave after giving birth, they were often forced to return to work after just a few days. This meant that essential breastfeeding periods could not be observed. The women were also often so malnourished that they were unable to give their children enough breast milk.[15]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

In addition, secret forced abortions and forced sterilizations were carried out on Polish and Soviet forced laborers from 1943 onwards.[16]Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeit: Abtreibungen.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/abtreibungen.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023. Those responsible for such actions valued the work of the forced laborers for the war economy above the life of their „non-German“ babies.  The neglect of the babies and their resulting deaths was a deliberately accepted practice.

Authors: Fenja Pophanken, Vanessa Bokelmann, Jannik Meier.

Translation: Irene Schultens.

 

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Informationen

Für weiterführende Informationen: Stadtarchiv Göttingen Cordula Tollmien Projekt NS-Zwangsarbeiter:
https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/

References
1, 5 Tollmien, Cordula. „NS-Zwangsarbeit: Wäscherei Schneeweiß.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/frames/fr_betriebe.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.
2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 13, 14, 15 Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeiter: Geburten.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/geburten.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.
12, 16 Tollmien, Cordula. „Projekt NS-Zwangsarbeiter: NS-Zwangsarbeit: Abtreibungen.“ URL: https://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/abtreibungen.htm/. Zuletzt abgerufen am: 22.10.2023.

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