Leerstelle Göttinger Tageblatt
Im Gedenken an die Opfer von Propaganda und Polarisierung.
Presse und öffentlicher Rundfunk waren in der Zeit des Nationalsozialismus wichtige Kommunikations- und Propagandamittel. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 standen alle Zeitungen unter strenger Überwachung des Regimes. Doch auch vorher sympathisierten Medien des rechten politischen Spektrums mit ihren Ansichten. So auch in Göttingen, wo das Göttinger Tageblatt die Ideen rechts-nationalistischer Gruppen wie der NSDAP seit der Weimarer Republik verbreitete.[1]Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für … Continue reading
Es ist auch der Unterstützung des Göttinger Tageblatts zu verdanken, dass die NSDAP bereits 1924 erste Wahlerfolge in Göttingen erzielen konnte. In den folgenden Jahren radikalisierte sich die Stadt zunehmend.[2]Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für … Continue reading Die Zeitung trug durch antisemitische Äußerungen erheblich zu der positiven Haltung der Göttinger Bürger:innen gegenüber den Nationalsozialisten bei. Durch die Darstellung der Ideen des Nationalsozialismus als wählbare Alternative zu der, als sozialistisch, marxistisch und antinational dargestellten, Weimarer Republik konnte das Göttinger Tageblatt weite Teile der Bevölkerung für die NSDAP gewinnen. So kam es in den Kreisen der Göttinger Bürger:innen Kreisen auch zu Befürwortung der Pogrome gegen Göttinger Jüd:innen und Juden 1937 und 1938 sowie der Errichtung von „Judenhäusern“.[3]Ledder, Simon. „Endlich am Ziel. Presse im Nationalsozialismus.“ In: Matysiak, Stefan (Hrsg.). Von braunen Wurzeln und großer Einfalt. Südniedersächsische Medien in Geschichte und Gegenwart. … Continue reading
Das Göttinger Tageblatt ist ein prominentes Beispiel für die Bedeutung lokaler Medien in der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts während der Weimarer Republik. Obwohl das Göttinger Tageblatt seine NS-Vergangenheit, etwa zu seinem 100-jährigen Bestehen 2014, vereinzelt aufarbeitet,[4]Vgl. hhttps://www.goettinger-tageblatt.de/lokales/goettingen-lk/goettingen/nationalismus-und-antisemitismus-das-goettinger-tageblatt-im-nationalsozialismus-JPXVRV6APS6OSRQ6GKOQATBQ3Q.html/. Oder … Continue readinggibt es in der Stadt kein Mahnmal, welches an diese erinnert.
Geeignet für ein solches Denkmal wäre die heute als Fußgängerzone vielgenutzte Prinzenstraße in der Göttinger Innenstadt. In den 1930er Jahren befand sich dort das Redaktionsgebäude des Göttinger Tageblatts. Inspiriert durch Denkmäler wie die Stolpersteine könnte eine im Bürgersteig eingelassene Bronzeplatte installiert werden. Diese Platte könnte die Form einer Zeitung annehmen. Um deutlich sichtbar zu sein, sollte sie etwa einen Quadratmeter Fläche einnehmen. Auf der Platte soll neben der historischen Einordnung auch ein Schriftzug „Im Gedenken an die Opfer von Propaganda und Polarisierung“ erscheinen. Zudem sollte eine erklärende Schrifttafel auf Augenhöhe an der Hauswand neben der Bronzeplatte angebracht sein, um über das Mahnmal aufzuklären, mögliche Fragen zu beantworten und gegebenenfalls einen Gegenwartsbezug herzustellen. Passant:innen könnten so angeregt werden, sich der Rolle von Medien in der Gesellschaft bewusst zu werden und zu reflektieren.
Autor:innen: Tabea Diedrich, Finn König, Cedric Müller, Fiona Riede.
"Empty Space" Göttinger Tageblatt
The press and public radio were important means of communication and propaganda during the National Socialist era.
After the parliament placed the National Socialists in power January 1933, all newspapers came under strict surveillance by the regime. Even before that time, media from the right-wing political spectrum had sympathized with the NSDAP point of view. Such was the case in Göttingen, where the Göttinger Tageblatt spread the ideas of right-wing nationalist groups such as the NSDAP early in the Weimar Republic.[5]Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für … Continue reading
Due to the support of the Göttinger Tageblatt, the NSDAP achieved its first electoral success in Göttingen as early as 1924. In the following years, the city became increasingly radicalized.[6]Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für … Continue reading The newspaper’s antisemitic statements contributed significantly to the positive attitude of Göttingen’s citizens towards the National Socialists. By presenting the ideas of National Socialism as a viable alternative to the Weimar Republic, which was portrayed as socialist, Marxist, and anti-national, the Göttinger Tageblatt was able to win over large sections of the population to the NSDAP. The paper helped create support within Göttingen’s civic circles for the pogroms against the city Jews in 1937 and 1938 and the construction of Judenhäusern.[7]Ledder, Simon. „Endlich am Ziel. Presse im Nationalsozialismus.“ In: Matysiak, Stefan (Hrsg.). Von braunen Wurzeln und großer Einfalt. Südniedersächsische Medien in Geschichte und Gegenwart. … Continue reading
The Göttinger Tageblatt is a prominent example of the importance of local media in spreading National Socialist ideas during the Weimar Republic. Although the Göttinger Tageblatt has occasionally come to terms with its Nazi past, for example on its 100th anniversary in 2014,[8]Vgl. hhttps://www.goettinger-tageblatt.de/lokales/goettingen-lk/goettingen/nationalismus-und-antisemitismus-das-goettinger-tageblatt-im-nationalsozialismus-JPXVRV6APS6OSRQ6GKOQATBQ3Q.html/. Oder … Continue reading there is no memorial in the city to commemorate this fact.
Prinzenstraße in the Göttingen city center, now a much-used pedestrian zone, would be suitable for such a monument. In the 1930s, the editorial building of the Göttinger Tageblatt was located there. Inspired by memorials such as the Stolpersteine, a bronze plaque could be installed in the side walk. This plate could take the form of a newspaper. To be clearly visible, it should take up about one square meter of space. In addition to information on the historical background, the plaque should also bear the words „In memory of the victims of propaganda and polarization“. Also an explanatory plaque should be placed at eye level on the wall next to the bronze plaque to provide information about the memorial, answer any questions and, if necessary, reference contemporary events. Passers-by could thus be encouraged to become aware of and reflect on the role of the media in society.
Authors: Tabea Diedrich, Finn König, Cedric Müller, Fiona Riede.
Translation: Irene Schultens.
Das Göttinger Tageblatt im Nationalsozialismus
Gruppen des konservativen und rechten politischen Spektrums trafen nach Ende des Ersten Weltkriegs auf breite Zustimmung in Göttingen. Mögliche Gründe dafür waren unter anderem hohe Arbeitslosigkeit und Armut in Folge der Weltwirtschaftskrise.[9]Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für … Continue reading
Dabei profitierten sie von der Unterstützung der Medien wie dem Göttinger Tageblatt. Dieses wendete sich früh dem radikal-nationalistischen Lager zu und kritisierte die Weimarer Republik seit den 1920er Jahre, als antinational und marxistisch.[10]Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für … Continue reading
Zudem trug das Tageblatt entscheidend zu der Verbreitung von Antisemitismus in Göttingen bei. Schon im März 1932 forderte das Göttinger Tageblatt den Kampf „gegen die Marxisten, Juden und Demokraten“.[11]Göttinger Tageblatt, 5./6. März 1932, S. 7. Diese Haltung verstärkte sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der zunehmenden, staatlich gesteuerten Ausgrenzung und Verfolgung von Jüd:innen. So sei laut dem Göttinger Tageblatt durch die Zerstörung der Bremker Synagoge während der Novemberpogrome 1938 „ein Schandfleck aus dem Dorfbilde beseitigt“.[12]Göttinger Tageblatt 15. November 1938, S. 7.
Auch berichtete die Zeitung mehrfach anerkennend über antisemitische Maßnahmen im Ausland.[13]Vgl. Göttinger Tageblatt, 2. September 1938, S. 1 und Göttinger Tageblatt, 09. November 1938, S. 2.
Aufgrund seiner rechten politischen Orientierung durfte das Göttinger Tageblatt im Gegensatz zu anderen Zeitungen auch während des Nationalsozialismus bestehen bleiben. So konnte es sich zwischen 1932 und 1945 zur auflagenstärksten Zeitung Göttingens entwickeln.[14]Tollmien, Cordula. „Nationalsozialismus in Göttingen (1933-1945).“ Diss. Universität Göttingen, Göttingen: 1998, S. 61.
Das Tageblatt bemühte sich seine Parteinähe zu wahren: So befolgte es in den meisten Fällen die Presseanweisungen des NSDAP Propagandaministeriums, gesteuert durch das 1933 etablierte Deutsche Nachrichtenbüro.[15]Ledder, Simon. „Endlich am Ziel. Presse im Nationalsozialismus.“ In: Matysiak, Stefan (Hrsg.). Von braunen Wurzeln und großer Einfalt. Südniedersächsische Medien in Geschichte und Gegenwart. … Continue reading
Das Beispiel des Göttinger Tageblatts bezeugt die hohe Bedeutung der Medien bei der Meinungsbildung der Öffentlichkeit. Es zeigt dabei vor allem die Gefahren eines Missbrauches auf und betont die Notwendigkeit kritischen Medienbewusstseins. Ein Mahnmal, welches an den Einfluss der Presse im Nationalsozialismus auch in Göttingen erinnert, könnte somit zur historischen und politischen Bildung in der heutigen Zeit beitragen.
Autor:innen: Tabea Diedrich, Finn König, Cedric Müller, Fiona Riede.
The Göttinger Tageblatt during National socialism
After the First World War, groups from the conservative and right-wing political spectrum met with broad support in Göttingen. Possible reasons for this include high unemployment and poverty as a result of the Great Depression.[16]Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für … Continue reading The right-wing benefited from the support of media such as the Göttinger Tageblatt. From the 1920s on, the Göttinger Tageblatt turned towards the radical nationalist camp and criticised the Weimar Republic as anti-national and Marxist.[17]Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für … Continue reading
The Tageblatt also decisively contributed to the spreading of antisemtism in Göttingen. As early as March 1932, the Göttinger Tageblatt called for a fight „against the Marxists, Jews and democrats“.[18]Göttinger Tageblatt, 5./6. März 1932, S. 7. This attitude intensified when the National Socialists came to power, and the paper encouraged increasingly the state-controlled exclusion and persecution of Jews. According to the Göttinger Tageblatt, the destruction of the Bremke synagogue during the November pogroms in 1938 „removed a stain from the village’s image“.[19]Göttinger Tageblatt 15. November 1938, S. 7. The newspaper also reported approvingly on several occasions about antisemitic measures that occurred abroad.[20]Vgl. Göttinger Tageblatt, 2. September 1938, S. 1 und Göttinger Tageblatt, 09. November 1938, S. 2.
Due to its right-wing political orientation, the Göttinger Tageblatt, unlike other newspapers, was allowed to remain in existence through out the National Socialist era. This allowed it to develop into the newspaper with the highest circulation in Göttingen between 1932 and 1945.[21]Tollmien, Cordula. „Nationalsozialismus in Göttingen (1933-1945).“ Diss. Universität Göttingen, Göttingen: 1998, S. 61. The Tageblatt strove to maintain its proximity to the party: in most cases, it followed the press instructions from the NSDAP propaganda ministry, controlled by the German News Office established in 1933.[22]Ledder, Simon. „Endlich am Ziel. Presse im Nationalsozialismus.“ In: Matysiak, Stefan (Hrsg.). Von braunen Wurzeln und großer Einfalt. Südniedersächsische Medien in Geschichte und Gegenwart. … Continue reading
The example of the Göttinger Tageblatt testifies to the great importance of the media in shaping public opinion. Above all it illustrates the dangers of misuse of media and emphasizes the need for critical media awareness. A memorial commemorating the influence of the press under National Socialism in Göttingen could thus contribute to historical and political education today.
Authors: Tabea Diedrich, Finn König, Cedric Müller, Fiona Riede.
Translation: Irene Schultens.
↑1, ↑5 | Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für Diplom-Sozialwirte an der Universität Göttingen, Göttingen: GRIN-Verlag, 2007. S. 34, S. 45. |
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↑2, ↑6 | Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für Diplom-Sozialwirte an der Universität Göttingen, Göttingen: GRIN-Verlag, 2007. S. 33. |
↑3, ↑7 | Ledder, Simon. „Endlich am Ziel. Presse im Nationalsozialismus.“ In: Matysiak, Stefan (Hrsg.). Von braunen Wurzeln und großer Einfalt. Südniedersächsische Medien in Geschichte und Gegenwart. Norderstedt: Books on Demand, 2014. S. 106.; für die Einrichtung von Judenhäusern siehe: Göttinger Tageblatt, 5. Mai 1939, S. 2. |
↑4, ↑8 | Vgl. hhttps://www.goettinger-tageblatt.de/lokales/goettingen-lk/goettingen/nationalismus-und-antisemitismus-das-goettinger-tageblatt-im-nationalsozialismus-JPXVRV6APS6OSRQ6GKOQATBQ3Q.html/. Oder https://www.goettinger-tageblatt.de/lokales/goettingen-lk/das-goettinger-tageblatt-in-der-zeit-des-nationalsozialismus-3V4DFIHJVXY37ZCBLMN2GDZ3JM.html/. |
↑9, ↑16 | Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für Diplom-Sozialwirte an der Universität Göttingen, Göttingen: GRIN-Verlag, 2007. S. 31 |
↑10, ↑17 | Oschinski Nils. Inhalt und Umsetzung früher nationalsozialistischer Presseanweisungen. Drei Göttinger Zeitungen im Vergleich (1933-1935). 12-Wochen-Arbeit im Rahmen der Prüfung für Diplom-Sozialwirte an der Universität Göttingen, Göttingen: GRIN-Verlag, 2007. S. 32, S. 34, S. 45. |
↑11, ↑18 | Göttinger Tageblatt, 5./6. März 1932, S. 7. |
↑12, ↑19 | Göttinger Tageblatt 15. November 1938, S. 7. |
↑13, ↑20 | Vgl. Göttinger Tageblatt, 2. September 1938, S. 1 und Göttinger Tageblatt, 09. November 1938, S. 2. |
↑14, ↑21 | Tollmien, Cordula. „Nationalsozialismus in Göttingen (1933-1945).“ Diss. Universität Göttingen, Göttingen: 1998, S. 61. |
↑15, ↑22 | Ledder, Simon. „Endlich am Ziel. Presse im Nationalsozialismus.“ In: Matysiak, Stefan (Hrsg.). Von braunen Wurzeln und großer Einfalt. Südniedersächsische Medien in Geschichte und Gegenwart. Norderstedt: Books on Demand, 2014. S. 86. |